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Was ist der “Gender-Data-Gap”?

Zwischen dem männlichen und weiblichen Körper existieren bedeutsame physiologische Unterschiede, unter anderem bezüglich der Hormone, biochemischen Reaktionen, der Schwangerschaft und der Geburt. Die Medizin hat den männlichen Körper jedoch historisch als Standard betrachtet, den weiblichen Körper dagegen als “abweichend”. Es ist kein Geheimnis, dass in der Vergangenheit viele wissenschaftliche Erhebungen ausschließlich mit männlichen Probanden durchgeführt wurden: Noch bis 1993 wurden Frauen von klinischen Studien ausgeschlossen. Dementsprechend sind Frauen bis heute in klinischen Studien unterrepräsentiert.



Daraus resultiert eine große Schieflage in der Gesundheitsversorgung von Mann und Frau. Die Forschung und Entwicklung von medizinischen Lösungen für Frauen wurden lange vernachlässigt. Die fatalen Folgen zeigen sich bis heute. Caroline Criado-Perez verweist in ihrem Buch “Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert” auf den Gender-Data-Gap, eine geschlechterbezogene Lücke in wissenschaftlichen Daten unterschiedlicher Bereiche, darunter auch der Medizin. Noch immer seien frauenspezifische Besonderheiten in klinischen Studien und medizinischen Empfehlungen unterrepräsentiert, kritisiert die Britin. Kliniker:innen stoßen bei der Diagnose und Therapie auf geschlechtsspezifische Unterschiede. Diese Unterschiede werden in der Epidemiologie, der Pathophysiologie, den klinischen Manifestationen, dem Krankheitsverlauf und dem Ansprechen auf die Behandlung festgestellt, sodass Frauen oftmals systematisch benachteiligt sind. Der weibliche Körper reagiert bei bestimmten Krankheiten und Verletzungen anders als der männliche. Dennoch werden der männliche Körper und dessen Symptome meist als Referenz für den weiblichen genommen. Das kann zu lebensgefährlichen Fehldiagnosen bei Frauen führen, die mit einer geschlechtsspezifischen Betrachtung vermeidbar wären. Hier sei vor allem auf Krankheiten verwiesen, die speziell oder hauptsächlich Frauen betreffen - beispielsweise Endometriose oder Brustkrebs. Dies verdeutlicht die Zuspitzung des Gender-Data-Gaps und den einhergehenden Mangel an Daten, um überhaupt erst in der Lage zu sein, betroffenen Frauen helfen zu können.




Der Gender-Data-Gap wird auch in modernen Algorithmen und selbstlernenden KI-Systemen (KI = Künstliche Intelligenz) deutlich. Das liegt daran, dass diese Algorithmen ihre Funktion aus Trainingsdaten erlernen. Wenn Informationen in diesen Trainingsdaten fehlen, verzerrt oder unterrepräsentiert sind, können diese nicht oder nur mit geringerer Treffsicherheit im Algorithmus aufgenommen werden. Die Technologien und ihre Trainingsdaten spiegeln die Gesellschaft in Werten und Wissen wider. Als Amazon beispielsweise ein KI-System zur Auswahl von Bewerber:innen einführte, lernte dieses die in den vergangenen menschlichen Auswahlentscheidungen vorhandenen psychologischen Verzerrungen zugunsten von Männern mit und bevorzugte so wiederum Männer bei der Auswahl. Auch in der Produktgestaltung ergeben sich teils massive Unterschiede, die auf Basis von Daten zum männlichen Körper entwickelt wurden: Herde, die mehr Arbeit von Frauen erfordern, Handys, die zu groß für Frauenhände sind, oder Ergometer, die keine zuverlässigen Daten zur Leistung von Frauen liefern. Diese bisherige Entwicklung in der Geschichte der (medizinischen) Forschung ist dementsprechend ein ernsthaftes Problem hinsichtlich der Gesundheitsversorgung und des Verständnisses der gesundheitsrelevanten Bedürfnisse von Frauen. 


Diese geschlechtsspezifische Ungleichheit durch die Vernetzung und den Austausch verschiedener Akteur:innen in Forschung und Entwicklung zu bekämpfen und so die weibliche Gesundheitsversorgung zu verbessern, war die zentrale Motivation, das GAIA-Netzwerk zu gründen.


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